SZ + Wirtschaft
Merken

Lausitzer Kohle-Kraftwerke kann man nicht einfach ausschalten

Auch wenn genug grüner Strom im Netz ist, können Lausitzer Kohle-Kraftwerke nicht mal eben Pause machen. Sonst wird‘s kalt. Auch nicht gut ist der starke Wind der letzten Tage.

Von Irmela Hennig
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das Kraftwerk Lippendorf stellt Blöcke in Reserve, wenn der Strom und Wärme nicht gebraucht wird.
Das Kraftwerk Lippendorf stellt Blöcke in Reserve, wenn der Strom und Wärme nicht gebraucht wird. © kairospress

Das gab es noch nie bislang bei der Leag. Erstmals in seiner Geschichte speiste der Tagebau- und Kraftwerksbetreiber an einem Standort keinen Strom ins Netz ein. Zwischen dem 28. Dezember 2022 und dem 15. Januar 2023 liefen die Kraftwerksblöcke in Lippendorf bei Leipzig an einigen Tagen ganz oder stundenweise nur im Reservemodus.

Einer der Blöcke, in denen für Energieerzeugung Braunkohle verbrannt wird, gehört der Leag direkt. Den zweiten betreibt sie für den Eigentümer, das ist die Energie Baden-Württemberg AG, kurz EnBW. Gründe für die starke Drosselung waren nach damaligen Angaben eines Leag-Sprechers die Weihnachtsfeiertage, zu denen weniger Energie benötigt worden sei. Denn viele Industrie- und Gewerbebetriebe hatten Betriebsruhe. Außerdem gab es Anfang Januar viel Wind und damit reichlich Strom aus erneuerbaren Energien im Netz. Die haben, das ist gesetzlich geregelt, Vorrang vor den fossilen.

Im Fall von Lippendorf gesellt sich aber eine Besonderheit dazu. Denn bislang wurde dort neben Strom auch Fernwärme für die Versorgung von Haushalten in Leipzig stetig benötigt. Doch die Stadt hat in den vergangenen Jahren ein neues Gaskraftwerk für 220.000 Haushalte errichten lassen. Es ging Ende 2022 in den Regelbetrieb. Auch dadurch haben die Stadtwerke nun „genügend Kapazitäten, den kompletten Wärmebedarf aus eigenen Anlagen zu decken“, informiert Pressesprecher Frank Viereckl. Neben dem neuen Heizkraftwerk Leipzig Süd werde ein Großteil der Wärme in einem Gas- und Dampfkraftwerk erzeugt. Daneben werde das Netz durch kleinere Blockheizkraftwerke und Heizwerke stabilisiert, so der Sprecher.

Lausitzer Kraftwerksblöcken können nicht in Reserve gehen

Bis 2025 gibt zwar weiterhin einen Fernwärme-Liefervertrag mit der Leag. Grund seien Störungen, die in komplexen technischen Anlagen immer eintreten können. Die wolle man sicher beherrschen, so Viereckl. Ab 2026 wolle man ohne den Rettungsanker aus Lippendorf auskommen. Laut Sascha Lüdge, Leiter der Asset-Steuerung bei der Leag und damit verantwortlich für den Kraftwerkseinsatz, sei der neue Vertrag mit den Stadtwerken flexibel. „Wir bieten täglich Wärmelieferung an und die Stadtwerke entscheiden, ob unser Preis für sie attraktiver ist, als die Eigenproduktion von Wärme. Um den Jahreswechsel herum war dies wohl so“, sagt Lüdge.

Auch deshalb konnten die Lippendorfer Blöcke in den Reservebetrieb gehen. Bei den Lausitzer Kraftwerksblöcken ist das nicht möglich. Denn dort werden weiterhin kontinuierlich Kunden mit Fernwärme und Prozessdampf versorgt. Letzterer komme zum Beispiel im Industriepark Schwarze Pumpe in einer Brikett- und anteilig einer Papierfabrik zum Einsatz.

Fernwärme liefert die Leag derzeit neben Leipzig an die Kommunen Böhlen und Neukieritzsch im Leipziger Raum sowie nach Weißwasser, Boxberg, Hoyerswerda, Spremberg, Cottbus und Peitz in der Lausitz. Die Wärme muss verlässlich kommen, selbst wenn sich das finanziell gerade nicht lohnen sollte, weil der Marktpreis für Strom unter den Kosten der Leag liegt. Es also günstiger wäre, keinen Strom zu liefern. Wärmeerzeugung lässt sich im konkreten Fall nicht von der Stromerzeugung entkoppeln.

Angesichts des beschlossenen Ausstiegs aus der Braunkohlenutzung bis 2038 müssen jetzige Fernwärme-Bezieher nach Alternativen suchen, auch wenn die Leag unter anderem in Jänschwalde mit einer Ersatzbrennstoff-Anlage künftig weiter Fernwärme liefern will. Für die Stadtwerke Weißwasser, die Versorgungsbetriebe Hoyerswerda und die Städtischen Werke Spremberg soll dieses Jahr eine Studie für die sozialverträgliche und klimaschonende Energieversorgung vorliegen.

20 Minuten zum Hoch- oder Runterfahren

Nach der Weihnachtsruhe und mit einer Wetteränderung liefen in der zweiten Januarhälfte zwölf von 13 Blöcken der Leag in Volllast, Lippendorf inklusive. Ein Block befand sich in Reparatur, wie Thomas Hörtinger, Leiter für Steuerung und Optimierung des Kraftwerksparks, informierte. Am Netz war auch der Lippendorf-Block von EnBW. Denn es gab eine „typische Wintersituation, fast kein Wind, trüb und ohnehin weniger Sonnenstunden zu der Jahreszeit“, so Hörtinger.

Die Kohle wurde also schnell wieder gebraucht. „Wir sind der hochflexible Garant für die Versorgungssicherheit“, beschreibt es Thomas Hörtinger. Das verlange den Menschen und der Technik einiges ab. Innerhalb von 20 Minuten ist die Leag in der Lage, die Leistung um bis zu 2.000 Megawatt hoch- oder herunterzufahren. Die Anlagen seien hochautomatisiert und erlauben diese flexible Nutzung. Es bedeute aber schon einen höheren Verschleiß. Das werde zusammen mit den Kollegen der Instandhaltungsabteilung gut beobachtet.

Weil seit wenigen Tagen der Wind wieder stärker ist, seien zuletzt an jedem Leag-Kraftwerksstandort Kapazitäten vom Netz genommen worden oder werden mit deutlich reduzierter Leistung betrieben, so eine Sprecherin.

Grundsätzlich gilt, auch wenn das Wetter relevant ist für den Bedarf an Kohlestrom, entscheidet sich letztlich an der Leipziger Strombörse EEX, wie viel Energie Kraftwerksbetreiber verkaufen.

Keine Braunkohleimporte aus anderen Ländern

Der in den letzten Monaten zwischenzeitlich extrem hohe Preis für Kohle und der Brikettmangel, den manche Haushalte zu spüren bekommen hatten, spielt für die Leag keine Rolle. Lediglich für den Lippendorfer Block R werde Braunkohle der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft (Mibrag) zugekauft. „Alle anderen Leag-Kraftwerke werden mit der in den eigenen Tagebauen geförderten Kohle betrieben“, so Sprecherin Kathi Gerstner.

„Braunkohleimporte aus anderen Ländern gab und gibt es in unseren Kraftwerken nicht.“ Grundsätzlich sei in Deutschland, wenn es um Kohleimporte geht, Steinkohle gemeint. Braunkohle zu importieren, wäre aufgrund des hohen Wassergehalts und eines im Vergleich zur Steinkohle geringeren Brennwertes nicht besonders wirtschaftlich, wie die Sprecherin informiert.

Der Leag-Bedarf am eigenen Brennstoff war zuletzt wieder gestiegen. Bis Ende 2022 hat das Unternehmen rund 50 Millionen Tonnen Kohle verstromt. Das hatte Leag-Vorstand Philipp Nellessen auf der Barbarafeier im Dezember gesagt. 2023 werden wohl 60 Millionen Tonnen verbrannt; das seien 50 Prozent mehr als 2021. Das liege unter anderem an einer höheren Stromnachfrage der Industrie nach der Corona-Delle, so Thomas Hörtinger. Grund ist aber auch, dass in Jänschwalde zwei eigentlich schon stillgelegte Blöcke auf Anweisung der Bundesregierung wieder ans Netz musste und derzeit laufen, um der gegenwärtigen Energiekrise zu begegnen.